Lesung am SGM mit Tommie Goerz

IM SCHNEE, so heißt Tommie Goerz‘ kleines großes Buch, das in diesem Lesefrühjahr landauf, landab gefeiert worden ist. Mit Auszügen aus diesem Roman war der Mann, den man sonst als Regionalkrimi-Experten kennt und der bürgerlich Dr. Marius Kliesch heißt, in Münnerstadt zu Gast. Die Schüler und Schülerinnen der 11. und 12. Jahrgangsstufe, aber auch bekennende Goerz-Fans bzw. Literaturinteressierte stellten sich als Auditorium des Gegenwartsautors in der Aula der Schule ein.

Was sie erlebten, war zunächst: einen sehr authentischen, erzählfreudigen Autor, der Einblicke in sein buntes, siebzigjähriges Leben gewährte. Bunt in beruflicher Hinsicht wohlgemerkt. Denn was sich als Konstante durch die Vita bewegt, ist das Bekenntnis zur fränkischen Region, speziell seiner Geburtsstadt Erlangen, der er bis heute bei aller Weltläufigkeit treu geblieben ist. Zum Schreiben kam Goerz eher durch Zufall, als der promovierte Philosoph/Soziologie/Politologe, gelernte Werbetexter und ehemalige Creative Director bei publicis von einem befreundeten Verleger der Region gefragt wurde, ob er jemanden kenne, der Regionalkrimis mit Fußballbezug schreiben könne. Nach längerem Überlegen bot sich Kliesch/Goerz an, es selbst zu versuchen. Geboren war damit wenig später der Nürnberger Ermittler Friedo Behütuns, der seit 2010 – beginnend mit Schafkopf – von Goerz als unkonventioneller Kommissar in teils bizarre Fälle geschickt wurde. Es folgten preisgekrönte literarische Krimis (Meier, Frenzel), und schließlich die beiden Romane Im Tal und Im Schnee.

Und hieraus, dem jüngsten Coup des Autors, erlebten die Zuhörer in Münnerstadt in fließendem Wechsel Lesestellen und Erzählpartien, die sich schließlich in einen spezifischen, leisen Sound verdichteten, ein Sound, der ein Gefühl gab für die Machart des ganzen Textes. Goerz erläuterte zwischendurch, wie er ausgehend vom entscheidenden ersten Satz („Unter den Apfelbäumen lag Schnee.“), den er sich faktisch bei John Cheever entliehen hatte („Mir lief es kalt den Rücken runter, als ich ihn las“), eine Textmelodie und einen Textrhythmus entwickelte. So, mit diesem Satz als Antriebsstufe – ohne genau vorher festgelegte Erzählstationen – nahm die Geschichte eine „Moll-Stimmung“ an und trug den Plot, der sich binnen 48 Stunden im Leben der gealterten Hauptfigur bewegt, an ein Ende im Schnee im Wald oberhalb eines fiktiven fränkischen Dorfes, das in der Rhön, der Fränkischen Schweiz oder im Kulmbachischen liegen könnte. Verhandelt wird Im Schnee ungemein viel: das Verschwinden dörflichen Lebens, wie wir es kennen, das Verschwinden einer Freundschaft, die vielleicht mehr war, die Überlegenheit der Empathie der Frauen, die Notwendigkeit von Ritual und Trauerarbeit, aber auch das Durchbrechen scheinbarer Idyllen. Das Dorf, das eine junge Nebenfigur mit einem stillen See vergleicht, hat seine Untiefen, seine geheimen Erzählungen, die rund um die Totenwacht um den „Schorsch“ aufbrechen. Das Dorf beherbergt beinahe archaische Lebensbewältigungsstrategien, wie überhaupt das Buch voller Weisheit und Lebenserfahrung steckt, und voller exakter Beobachtungen, die Goerz aus der Vielzahl seiner Begegnungen und eigenen vielfältigen Tätigkeiten zieht. Und das Dorf hat seine Enge, seine Feindseligkeit gegenüber den Zugezogenen, allem Neuen, das die gewachsenen Strukturen bedroht. Auch das wird gezeigt, in narrativen Kippfiguren, bei denen der Leser manchmal nicht recht weiß, ob er lachen oder vor Schaudern sich abwenden soll. Etwa dort, wo in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das für Flüchtlinge vorgesehene Schulhaus eingerissen wird, damit das Fremde draußen bleibt.

Am Ende ist dieses Buch eine kluge Annäherungsübung an den Tod. Sprachlich-stilistisch ungemein feinsinnig, mit der Macht der einfachen Wörter, die, wie Goerz feststellt, eben oft auch einsilbig sind („Pferd, Brot, Feld“). Ein Tod, der mit verschluckten Schritten kommt und, wie im Schnee, friedlich zwei Menschen zudeckt. Für die Schüler gewiss manchmal keine leichte, aber doch eine lohnende Lektüre-Begegnungserfahrung. Denn der Tod gehört zum Leben hinzu, er ist, wie Goerz das nennt, „Teil des Deals“.

OStD Peter Rottmann

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